Der Beginn des Bergbaus in Zinnwald

Zinnwald, im Jahr 1750

Imanuel Heinrich KAUDERBACH (1695 – 1776) war ein deutscher lutherischer Theologe. ...
Maria THERESIA (1717 – 1780) war eine Fürstin aus dem Hause Habsburg und ab 1740 regierende Erzherzogin von Österreich. ...
aus: ´Bunte Bilder aus dem Sachsenlande´, Band 2 (1894), Seite 127
aus: ´Bunte Bilder aus dem Sachsenlande´, Band 2 (1894), Seite 128 oben
aus: ´Bunte Bilder aus dem Sachsenlande´, Band 2 (1894), Seite 128 unten
aus: ´Bunte Bilder aus dem Sachsenlande´, Band 2 (1894), Seite 129

      Recht lebhaft ging es in Geising um die Mitte des vorigen Jahrhunderts
zu. Damals wohnten hier viele hundert Bergleute, die alle gute und brave
Lutheraner waren. Dieselben arbeiteten in den Bergwerken des benachbarten
Zinnwaldes und wohnten in Geising meist nur zur Miete. Der Lohn war frei-
lich kein sehr hoher, doch reichte er für ein genügsames und einfaches Leben aus.
Die Geisinger Bergleute waren zufriedene Menschen und fühlten sich glücklich;
hatten sie doch so viel, als zu des Leibes Nahrung und Notdurft gehört. Bald
sollten die evangelischen Bergleute Geisings aber recht plötzlich in die bitterste Not
kommen. Der benachbarte Zinnwald, auf dem die Geisinger Bergleute zumeist
arbeiteten, lag über der Grenze, in Böhmen, und gehörte zum Reiche der damaligen
Kaiserin Maria Theresia, die bekanntlich eine eifrige Katholikin war. Dieselbe
erließ, was niemand erwartet hatte, den strengen Befehl, daß es von einem
bestimmten Tag an nur katholischen Bergleuten erlaubt sein sollte, auf dem
böhmischen Zinnwalde zu arbeiten. Bei harter Strafe wurde verboten, den
lutherischen Bergleuten Geisings ferner noch Arbeit in den kaiserlichen Bergwerken
zu geben. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf diese Nachricht die Gemüter
der armen Geisinger Bergleute. Wegens ihres Glaubens sollten sie also ferner-
hin keinen Verdienst und kein Brot mehr haben. Das war hart! Mit einem
Schlage waren sie an den Bettelstab gekommen; denn wo sollten sie auf einmal
nun Arbeit hernehmen? Die Not der armen Bergleute, die ja gern und fleißig
schafften, war groß. Da gab es der Thränen gar viele.
      Zu der Zeit, da ein so hartes Gebot von der Kaiserin Maria Theresia
ausging, lebte in Geising ein frommer Pfarrherr, ein ehrwürdiger Greis. Diesem
ging die Not eines so großen Teiles seiner lieben Gemeinde gar tief zu Herzen,
und bald hatte er Mittel und Wege gefunden, die eine Änderung der harten Lage
der lutherischen Bergleute Geisings herbeiführen sollten. Der scharfsinnige Pfarr-
herr von Geising wußte wohl, was die Kaiserin Maria Theresia, die den Glauben
ihrer Kirche für den alleinrichtigen hielt, durch ihr Gebot bezweckte. Ihre Ab-
sicht war, recht viele Protestanten wieder in den Schoß ihrer Kirche zurückzuführen.
Hierzu sollte der harte Befehl ein Mittel sein; denn wollten die lutherischen
Bergleute fernerhin ihr Brot haben, so waren sie gezwungen, wenn nicht von
anderwärts Hilfe kam, zur katholischen Kirche überzutreten. Die Versuchung
für die armen Bergleute war keine geringe. Es kostete ja nur ein Wort, und
die Not hatte sofort eine Ende. Armut und Mangel mußten den Entschluß
erleichtern. Dem Pfarrer war dies alles ganz klar, und der Gedanke daran
machte ihn unglücklich. Gern hätte der treue Seelsorger seine Kirchkinder vor der
ihnen drohenden Gefahr gewarnt; doch durfte er, wie die Verhältnisse damals
lagen, nicht wagen, dies öffentlich zu thun. Er hätte die Bedrohten in sein
Haus versammeln können, doch auch dieser Schritt wäre gewiß nicht ohne Ver-
dächtigung geblieben, da es Späher und Verräter genug gab. Da fiel ihm etwas
Besseres ein.
      Er kannte genau die Gebräuche der Bergleute; er lebte ja seit vielen Jahren
unter ihnen und war völlig vertraut mit ihren Sitten. Er verkleidete sich daher
als Bergmann, ging nach dem Zinnwalde, ehe noch der Befehl der Kaiserin
Maria Theresia zur Ausführung gekommen war, und fuhr in die Bergwerke des
Zinnwaldes mit ein. Hier unten nun, im verschwiegenen Schoße der Erde,
beim schimmernden Grubenlichte, hielt er mit den Geisinger Bergleuten einen
feierlichen Gottesdienst. Späher waren hier nicht zu fürchten, da die Geisinger
Bergleute, also die lutherischen, in einem besonderen Bergwerke arbeiteten. Er
ermahnte hier unten seine Beichtkinder innigst und unter Thränen, ja dem Glauben
der Väter treu zu bleiben. Nach dieser Ansprache kniete er mit der kleinen Ge-
meinde nieder und flehte Gott inbrünstig an, daß er sich der armen und bald
brotlosen Bergleute annehmen und ihr Geschick auf irgend eine Art wenden möge,
damit sie nicht verleitet würden, um des täglichen Brotes willen dem Glauben der
Väter zu entsagen. Es war eine erhebende Feier. Getröstet und voll Ver-
trauen auf Gott sahen nun die Geisinger Bergleute dem Tage entgegen, an
welchem der Befehl Maria Theresias Kraft und Wirksamkeit erhalten sollte. Wie
richtig der Pfarrer von Geising über die Absicht der Kaiserin gedacht hatte, zeigte
sich an diesem Tage. Mehrere katholische Geistliche hatten sich schon am Morgen
desselben am Zinnwalde versammelt, um die Bergleute aus Geising zu empfangen.
Doch sie warteten vergebens; denn nicht ein einziger Bergmann erschien und meldete
sich zum Übertritte. Die Verwunderung der Priester war nicht gering; sie hatten
es sich ganz anders gedacht, und betreten über die getäuschten Erwartungen,
statteten sie der Kaiserin Bericht ab. Die Bergwerke auf dem Zinnwalde wurden
von diesem Tage an von den Geisinger Bergleuten nicht mehr befahren.
      Gleichzeitig war der ehrwürdige Pfarrer von Geising nach Dresden gereist,
um über den Sachverhalt zu berichten und die Notlage der Geisinger den Be-
hörden des Landes ans Herz zu legen. Seine tiefbewegten Worte fanden Ge-
hör, und die Behörde versprach zu thun, was sie vermöge. Mit dieser Freuden-
botschaft reiste er wieder nach Geising zurück. Dort wartete man mit großer
Spannung auf seine Heimkehr. Wie glücklich waren die armen Geisinger über
den Bericht ihres treuen Seelenhirten, wiewohl noch niemand wußte, auf welche
Art und Weise die Behörde den unglücklichen Bergleuten Hilfe bringen werde.
      Die Behörde zu Dresden berichtete alsbald an das Oberbergamt zu Frei-
berg und übertrug demselben das weitere. Hier kam ein einsichtsvoller Beamter
auf den Gedanken, es könne vielleicht auch auf dem nach Sachsen herein sich er-
streckenden Teile des Zinnwaldes Zinn gewonnen werden. Bestätige sich dies,
so brauche man ja nur Bergwerke anzulegen, und die Not der Geisinger hätte ein
Ende, das Vaterland aber wäre zugleich um eine Einnahme reicher.
      Sofort wurden sachverständige Männer abgesandt, welche die sächsische
Seite des Zinnwaldes zu untersuchen hatten. Was jener Beamte vermutet
hatte, fand man bald bestätigt. Der sächsische Teil des Zinnwaldes zeigte sich
ebenso reichhaltig an Zinn wie die böhmische Seite. Darauf wurden so-
gleich Zinngruben angelegt, die dem Lande einen reichen Gewinn brachten und
eine neue Einnahmequelle für dasselbe wurden. Nun hatten die Geisinger Berg-
leute wieder Arbeit und Brot. Gott hatte geholfen. Die Not hatte ein Ende,
und der heilige Glaube der Väter blieb treu bewahrt und erhalten. Bald erhiel-
ten die Bergleute Geisings auch die Erlaubnis, in der Nähe dieser neuen Gruben
sich anzusiedeln. So entstand nach kurzer Zeit in der Nachbarschaft Geisings ein neuer
Ort, den man, da er am Zinnwalde lag, Neuzinnwald nannte. Der Flecken,
der eine knappe Stunde von Geising entfernt liegt, wuchs in wenigen Jahren zu
einem ansehnlichen Orte heran, der heute gegen 600 Einwohner zählt und immer-
dar an den edlen Pfarrer von Geising erinnern wird; denn dieser ist als der eigent-
liche Gründer Neuzinnwalds anzusehen. Der vortreffliche Mann hieß Emanuel
Heinrich Kauterbach; sein Bildnis schmückt noch heute die Kirche in Geising.

aus: "Bunte Bilder aus dem Sachsenlande", Band 2 (1894), Seiten 127 – 129



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