Otto I. wird zum König gekrönt

Aachen, am 8. August 936

Otto I. der Große (912 - 973) stammte aus dem Geschlecht der Liudolfinger (Ottonen). ...
Hungers Lesebuch 5. und 6. Schuljahr, Seite 308
Hungers Lesebuch 5. und 6. Schuljahr, Seite 309
Hungers Lesebuch 5. und 6. Schuljahr, Seite 310

Ottos I. Krönung.

      Otto selbst verlangte nach einer vollständigen Anerkennung seiner
königlichen Stellung. Man bestimmte daher, zu Aachen in der alten
Kaiserburg Karls des Großen hätten die Herzöge, Grafen und die
vornehmsten Reichsvasallen aus allen deutschen Ländern sich zu ver-
sammeln, um die getroffene Wahl allgemein anzuerkennen und dem
neuen Könige zu huldigen, der dann nach altem Brauch gesalbt
und gekrönt werden sollte.
      Und so geschah es am 8. August des Jahres 936. In der Säulen-
halle, welche die Kaiserpfalz mit dem Münster des Reiches verband,
versammelten sich die Großen aus allen deutschen Landen, erhoben
Otto auf den Thron und gelobten ihm unter Handschlag Treue auf
immer und Beistand gegen alle seine Widersacher. So huldigten
sie ihm nach alter Sitte auf fränkischer Erde als Karls des Großen
Nachfolger und König der Franken.
      Nach der Huldigung begab sich Otto, von den Herzögen, Grafen
und Herren begleitet, in feierlichem Zug zum Münster. Die Gänge
oben erfüllte dicht gedrängt das Volk, das von weit und breit zum
großen Fest herbeigeströmt war. In dem unteren Raum aber
erwartete der Erzbischof Hildebert von Mainz mit allen Erzbischöfen,
Bischöfen und Priestern, die sich eingestellt hatten, den jungen König.
Als dieser an der Pforte erschien, schritt er ihm entgegen, den Krumm-
stab in der Rechten, und führte ihn mit der Linken bis in die Mitte
des Münsters, wo Kaiser Karls Grabstein liegt und Otto von allen
Seiten erblickt werden konnte. Hier wandte er sich um und rief laut
zu dem Volke: "Seht, ich führe euch Otto zu, den Gott zu eurem
König erwählt, König Heinrich bestimmt und alle Fürsten erhoben
haben. Gefällt euch solche Wahl, so erhebt eure Rechte zum Himmel!"
Alle erhoben die Hände, und donnernd hallte es in der Runde: "Heil
und Segen dem neuen Herrscher!"
      Darauf schritt der Erzbischof mit Otto zum Altare vor, wo
Schwert und Wehrgehenk und Mantel und Spangen, Zepter, Stab
und Diadem bereit lagen. Zuerst nahm er Schwert und Wehrgehenk
und sprach, zum König gewendet: "Nimm hin dies Schwert und
triff damit alle Feinde des Herrn, Heiden und schlechte Christen!
Denn darum hat dir Gottes Wille alle Gewalt über das Reich der
Franken verliehen, daß die ganze Christenheit sicheren Frieden ge-
winne." Dann ergriff er den Mantel mit den Spangen und legte
ihm denselben an mit folgenden Worten: "Die Säume dieses Ge-
wandes, die bis zur Erde herabwallen, sollen dich mahnen, bis
an das Ende auszuharren im Eifer für den Glauben und in der
Sorge für den Frieden." Und als er ihm Zepter und Stab über-
reichte, sprach er: „An diesen Zeichen lerne, daß du väterlich züchtigen
sollst, die dir untergeben sind! Vor allem aber", fuhr er fort, "strecke
deine Hand aus voll Barmherzigkeit gegen die Diener Gottes, wie
gegen die Witwen und Waisen, und nimmer versiege auf deinem
Haupte das Öl des Erbarmens, auf daß du hier und dort die
unvergängliche Krone zum Lohne empfängst!" Mit diesen Worten
nahm er das Ölhorn, salbte ihn mit dem heiligen Öle, das die Kirche
als ein Zeichen der Barmherzigkeit ansieht, und setzte ihm unter Bei-
hilfe des Erzbischofs Wilfried von Köln das goldene Diadem auf
das Haupt.
      Als so die Krönung vollbracht war, stieg Otto, schon im Glanz
der Krone, zu dem Throne empor, der zwischen zwei Marmorsäulen
von wunderbarer Schönheit erhöht war, von wo er das ganze, ver-
sammelte Volk überblickte und von allen gesehen werden konnte. Hier
blieb er, während die Messe gehalten wurde; dann stieg er vom
Throne herab und kehrte zur Pfalz Karls des Großen zurück. Hier
war inzwischen an marmorner Tafel das Königsmahl mit auserlesener
Pracht bereitet. Mit den Bischöfen und Herren setzte sich der neue
Herrscher zu Tische, und es dienten ihm beim Krönungsmahle die
Herzöge der deutschen Länder. So ist es damals zuerst geschehen
und oft dann in der Folge; es war ein Zeichen, daß die Herzöge
der einzelnen Länder den König, der über das ganze Volk gesetzt
war, als ihren Herrn erkannten, daß sie nichts anderes sein sollten
und wollten als die ersten seiner Dienstleute.       Wilhelm von Giesebrecht.

aus: "Hungers Lesebuch 5. und 6. Schuljahr", Seiten 308 bis 310
aus: ´Sächsische Volkszeitung´, Seite 11, vom 2. August 1936
aus: "Sächsische Volkszeitung", Seite 11, vom 2. August 1936
Text zum Artikel in der ´Sächsische Volkszeitung´, Seite 11, vom 2. August 1936



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