Ottos I. Krönung.  
		         
		       Otto selbst verlangte nach einer vollständigen Anerkennung seiner 
               königlichen Stellung. Man bestimmte daher, zu Aachen in der alten 
               Kaiserburg Karls des Großen hätten die Herzöge, Grafen und die 
               vornehmsten Reichsvasallen aus allen deutschen Ländern sich zu ver- 
               sammeln, um die getroffene Wahl allgemein anzuerkennen und dem 
               neuen Könige zu huldigen, der dann nach altem Brauch gesalbt 
               und gekrönt werden sollte. 
                     
		       Und so geschah es am 8. August des Jahres 936. In der Säulen- 
               halle, welche die Kaiserpfalz mit dem Münster des Reiches verband, 
               versammelten sich die Großen aus allen deutschen Landen, erhoben 
               Otto auf den Thron und gelobten ihm unter Handschlag Treue auf 
               immer und Beistand gegen alle seine Widersacher. So huldigten 
               sie ihm nach alter Sitte auf fränkischer Erde als Karls des Großen 
               Nachfolger und König der Franken. 
                     
		       Nach der Huldigung begab sich Otto, von den Herzögen, Grafen 
               und Herren begleitet, in feierlichem Zug zum Münster. Die Gänge 
               oben erfüllte dicht gedrängt das Volk, das von weit und breit zum 
               großen Fest herbeigeströmt war. In dem unteren Raum aber 
               erwartete der Erzbischof Hildebert von Mainz mit allen Erzbischöfen, 
               Bischöfen und Priestern, die sich eingestellt hatten, den jungen König. 
               Als dieser an der Pforte erschien, schritt er ihm entgegen, den Krumm- 
               stab in der Rechten, und führte ihn mit der Linken bis in die Mitte 
               des Münsters, wo Kaiser Karls Grabstein liegt und Otto von allen 
               Seiten erblickt werden konnte. Hier wandte er sich um und rief laut 
               zu dem Volke: "Seht, ich führe euch Otto zu, den Gott zu eurem 
               König erwählt, König Heinrich bestimmt und alle Fürsten erhoben 
               haben. Gefällt euch solche Wahl, so erhebt eure Rechte zum Himmel!" 
               Alle erhoben die Hände, und donnernd hallte es in der Runde: "Heil 
               und Segen dem neuen Herrscher!" 
                     
		       Darauf schritt der Erzbischof mit Otto zum Altare vor, wo 
               Schwert und Wehrgehenk und Mantel und Spangen, Zepter, Stab 
               und Diadem bereit lagen. Zuerst nahm er Schwert und Wehrgehenk 
               und sprach, zum König gewendet: "Nimm hin dies Schwert und 
               triff damit alle Feinde des Herrn, Heiden und schlechte Christen! 
               Denn darum hat dir Gottes Wille alle Gewalt über das Reich der 
               Franken verliehen, daß die ganze Christenheit sicheren Frieden ge- 
               winne." Dann ergriff er den Mantel mit den Spangen und legte 
               ihm denselben an mit folgenden Worten: "Die Säume dieses Ge- 
               wandes, die bis zur Erde herabwallen, sollen dich mahnen, bis 
               an das Ende auszuharren im Eifer für den Glauben und in der 
               Sorge für den Frieden." Und als er ihm Zepter und Stab über- 
               reichte, sprach er: „An diesen Zeichen lerne, daß du väterlich züchtigen 
               sollst, die dir untergeben sind! Vor allem aber", fuhr er fort, "strecke 
               deine Hand aus voll Barmherzigkeit gegen die Diener Gottes, wie 
               gegen die Witwen und Waisen, und nimmer versiege auf deinem 
               Haupte das Öl des Erbarmens, auf daß du hier und dort die 
               unvergängliche Krone zum Lohne empfängst!" Mit diesen Worten 
               nahm er das Ölhorn, salbte ihn mit dem heiligen Öle, das die Kirche 
               als ein Zeichen der Barmherzigkeit ansieht, und setzte ihm unter Bei- 
               hilfe des Erzbischofs Wilfried von Köln das goldene Diadem auf 
               das Haupt. 
                     
		       Als so die Krönung vollbracht war, stieg Otto, schon im Glanz 
               der Krone, zu dem Throne empor, der zwischen zwei Marmorsäulen 
               von wunderbarer Schönheit erhöht war, von wo er das ganze, ver- 
               sammelte Volk überblickte und von allen gesehen werden konnte. Hier 
               blieb er, während die Messe gehalten wurde; dann stieg er vom 
               Throne herab und kehrte zur Pfalz Karls des Großen zurück. Hier 
               war inzwischen an marmorner Tafel das Königsmahl mit auserlesener 
               Pracht bereitet. Mit den Bischöfen und Herren setzte sich der neue 
               Herrscher zu Tische, und es dienten ihm beim Krönungsmahle die 
               Herzöge der deutschen Länder. So ist es damals zuerst geschehen 
               und oft dann in der Folge; es war ein Zeichen, daß die Herzöge 
               der einzelnen Länder den König, der über das ganze Volk gesetzt 
               war, als ihren Herrn erkannten, daß sie nichts anderes sein sollten 
               und wollten als die ersten seiner Dienstleute. 
                     
		        Wilhelm von Giesebrecht.  
 
		   aus: "Hungers Lesebuch 5. und 6. Schuljahr", Seiten 308 bis 310