Wie in einem Tollhaus ging es gestern, wie wir erfahren, in der sonst so
seriösen Dresdner Ratssitzung zu. Die sieben Nationalsozialisten, die neu
in den Rat eingetreten sind, kamen in ihren Braunhemden an. Erst leisteten
sie treu und brav den Eid auf die Verfassung. Aber wie dieser Eid gemeint
ist, das erfuhr man wenige Minuten später. Offenbar im höheren Auftrag gab
der jüngste der sieben "Helden" eine schnoddrige Erklärung ab, die sich
gegen die bisher tätigen Ratsmitglieder im Allgemeinen und natürlich gegen
die Marxisten im Besonderen richtete. Ganz offen forderte er die Beseitigung
der Marxisten und stieß Morddrohungen aus. Die bisherige Geschäftsordnung
soll abgelöst werden durch eine neue. Die Marxisten sollen von der
Verwaltung der Stadt ausgeschlossen sein. Nur Leute mit "deutscher
Gesinnung" gelten für die Helden des Dritten Reiches.
Mit diesen und ähnlichen Plattheiten führte sich die nationalsozialistische
Ratsfraktion ein, ohne dass der Oberbürgermeister die durchaus
geschäftsordnungswidrigen Schnoddrigkeiten unterband. Die sozialdemokratischen
und kommunistischen Ratsmitglieder verwahrten sich auf das Schärfste gegen
die nationalsozialistischen Anpöbeleien, und es kam zu scharfen Redegefechten,
wie sie der Rat noch nicht erlebt hat.
Diese setzten sich fort bei der Geschäftsverteilung, die zu Beginn einer
neuen Tagungsperiode vorgenommen werden muss. Obwohl für die Zuteilung der
Dezernate allein der Oberbürgermeister verantwortlich ist, ging er darauf ein,
die Verhandlung aufgrund nationalsozialistischer Anträge zu vertagen. Von
sozialdemokratischer Seite wurde entschieden verlangt, diese Anträge der
Nationalsozialisten bekanntzugeben. Nur durch Zufall erfuhr man, dass sie die
Ausscheidung aller marxistischen Ratsmitglieder von praktischer Verwaltungstätigkeit
verlangen. Das ist sowohl nach der Reichs- wie nach der Landesverfassung
und nach der Sächsischen Gemeindeordnung ungesetzlich.
Auch den bürgerlichen Ratsmitgliedern war das Auftreten der Nationalsozialisten
sichtlich peinlich.
Schließlich fand ein Antrag auf Vertagung der Ratssitzung Annahme, denn ein
sachliches Arbeiten war durch das Auftreten der Nationalsozialisten ohnedies
unmöglich gemacht.
So wie sich gestern die nationalsozialistischen Neulinge in der Dresdner
Ratssitzung eingeführt haben, haben sie wieder einmal ein klassisches Beispiel
für Deutschlands sittliche Erneuerung überhaupt gebracht, die sie angeblich
erstreben.
* * *
Über diese Sitzung verbreitet die Stadthauptkanzlei folgende amtliche
Mitteilung:
Zu Beginn der Ratssitzung erfolgte durch Oberbürgermeister Dr. Külz vor
versammeltem Rat und in Gegenwart einer Abordnung der Stadtverordneten,
bestehend aus den Vorstehern Dr. Kluge und Dr. Thürmer und den Stadtverordneten
Verwaltungsdirektor Böttger, Oberregierungsrat Dr. Neumann und Scholtis, die
Einweisung und Verpflichtung des auf 12 Jahre wiedergewählten Stadtbaurats Dr.-Ing.
Leske und der neu- und wiedergewählten ehrenamtlichen Ratsmitglieder Oberlehrer
i. R. Beck (Staatspartei), ...