Dresden, am 14. Februar 1933

Artikel in der ´Dresdner Volkszeitung´ vom 15. Februar 1933
Die SPD-Zeitung "Dresdner Volkszeitung" berichtet am 15. Februar 1933.

Skandal im Rathaus

Nationalsozialistische Provokation im Ratskollegium

Wie in einem Tollhaus ging es gestern, wie wir erfahren, in der sonst so seriösen Dresdner Ratssitzung zu. Die sieben Nationalsozialisten, die neu in den Rat eingetreten sind, kamen in ihren Braunhemden an. Erst leisteten sie treu und brav den Eid auf die Verfassung. Aber wie dieser Eid gemeint ist, das erfuhr man wenige Minuten später. Offenbar im höheren Auftrag gab der jüngste der sieben "Helden" eine schnoddrige Erklärung ab, die sich gegen die bisher tätigen Ratsmitglieder im Allgemeinen und natürlich gegen die Marxisten im Besonderen richtete. Ganz offen forderte er die Beseitigung der Marxisten und stieß Morddrohungen aus. Die bisherige Geschäftsordnung soll abgelöst werden durch eine neue. Die Marxisten sollen von der Verwaltung der Stadt ausgeschlossen sein. Nur Leute mit "deutscher Gesinnung" gelten für die Helden des Dritten Reiches.
Mit diesen und ähnlichen Plattheiten führte sich die nationalsozialistische Ratsfraktion ein, ohne dass der Oberbürgermeister die durchaus geschäftsordnungswidrigen Schnoddrigkeiten unterband. Die sozialdemokratischen und kommunistischen Ratsmitglieder verwahrten sich auf das Schärfste gegen die nationalsozialistischen Anpöbeleien, und es kam zu scharfen Redegefechten, wie sie der Rat noch nicht erlebt hat. Diese setzten sich fort bei der Geschäftsverteilung, die zu Beginn einer neuen Tagungsperiode vorgenommen werden muss. Obwohl für die Zuteilung der Dezernate allein der Oberbürgermeister verantwortlich ist, ging er darauf ein, die Verhandlung aufgrund nationalsozialistischer Anträge zu vertagen. Von sozialdemokratischer Seite wurde entschieden verlangt, diese Anträge der Nationalsozialisten bekanntzugeben. Nur durch Zufall erfuhr man, dass sie die Ausscheidung aller marxistischen Ratsmitglieder von praktischer Verwaltungstätigkeit verlangen. Das ist sowohl nach der Reichs- wie nach der Landesverfassung und nach der Sächsischen Gemeindeordnung ungesetzlich. Auch den bürgerlichen Ratsmitgliedern war das Auftreten der Nationalsozialisten sichtlich peinlich.
Schließlich fand ein Antrag auf Vertagung der Ratssitzung Annahme, denn ein sachliches Arbeiten war durch das Auftreten der Nationalsozialisten ohnedies unmöglich gemacht.
So wie sich gestern die nationalsozialistischen Neulinge in der Dresdner Ratssitzung eingeführt haben, haben sie wieder einmal ein klassisches Beispiel für Deutschlands sittliche Erneuerung überhaupt gebracht, die sie angeblich erstreben.

* * *

Über diese Sitzung verbreitet die Stadthauptkanzlei folgende amtliche Mitteilung:
Zu Beginn der Ratssitzung erfolgte durch Oberbürgermeister Dr. Külz vor versammeltem Rat und in Gegenwart einer Abordnung der Stadtverordneten, bestehend aus den Vorstehern Dr. Kluge und Dr. Thürmer und den Stadtverordneten Verwaltungsdirektor Böttger, Oberregierungsrat Dr. Neumann und Scholtis, die Einweisung und Verpflichtung des auf 12 Jahre wiedergewählten Stadtbaurats Dr.-Ing. Leske und der neu- und wiedergewählten ehrenamtlichen Ratsmitglieder Oberlehrer i. R. Beck (Staatspartei), ...



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